Es gibt tatsächlich immer noch Menschen die behaupten, Gräser seien langweilig und würden nur den Blühpflanzen den Platz im Garten wegnehmen. Meine Eltern waren bis zu Beginn meiner Gärtnerausbildung auch dieser Meinung. Für sie war Gras nur in Form von flächig wachsender, anthropogener Vegetationsdecke (Definition: Wikipedia) existent, von ihnen liebevoll als englischer Rasen bezeichnet. Grüne Auslegeware für den Outdoorbereich, dessen ausgiebige Pflege jeden Samstagnachmittag die Aufgabe meines Vaters war. Die spärlichen Beete wurden mit Rhododendren, Forsythien und Tagetes bestückt. Als sie dann eine ausgebildete Staudengärtner-Tochter zur Hand hatten, wurde die Betreuung der Blumenbeete umgehend eingestellt und an diese übertragen. Was zur Folge hatte, dass immer mehr Ziergräser in den 70er-Jahre-Charme Garten einzogen. Und so schlich sich auch klammheimlich und unbemerkt die Rutenhirse in das Herz meiner Eltern.
Die Rutenhirse, botanisch Panicum, gehört zu den Dauerbrennern unter den Ziergräsern und wurde nun berechtigterweise vom Bund deutscher Staudengärtner zur Staude des Jahres gewählt. Ja, Gräser zählen tatsächlich zu den Stauden, auch wenn mancher es kaum glauben mag. Auch die Blätter der Rutenhirse sterben nach der Vegetationsphase ab, die Pflanze überwintert unter der Erde und treibt im Frühjahr erneut wieder aus.
Panicum gehört zu den sogenannten „Warm-Seasons-Grasses“. Hierzu werden Gräser gezählt, die erst spät im Frühjahr austreiben und ihren Höhepunkt in den Sommer- und Herbstmonaten haben. Aus diesem Grund ist in rauen Gegenden eine Frühjahrspflanzung zu empfehlen. Im Herbst wurzeln sie dort oft nicht mehr richtig ein und könnten dadurch in kalten Wintern hochfrieren und vertrocknen. Einmal eingewachsen sind sie über viele Jahre anspruchslos und pflegeleicht, also auch für Gartenanfänger bestens geeignet. Außer einem bodennahen Rückschnitt im zeitigen Frühjahr, bevor sich die neuen Triebspitzen aus dem Boden schieben, ist nicht viel Pflegeaufwand notwendig. Optimal wäre ein vollsonniger Standort mit trockenem bis frischen Boden und gutem Nährstoffangebot. Wie viele andere Gräser vertragen sie keine Staunässe, daher sollte der Boden ganzjährig gut durchlässig sein. Ursprünglich aus der Steppenzone Nordamerikas und Mexicos stammend, hat dieses schmuckvolle und unkomplizierte Gras eine Odyssee durch unsere Gärten und Parks hinter sich. Der Gräserfan Karl Foerster hat bereits in den 50er Jahren seine Gartenwürdigkeit erkannt und die Sorten 'Strictum' und 'Rotstrahlbusch' auf den Markt gebracht. Sie sind die „Altehrwürdigen“ unter den Rutenhirsen und noch heute ein Klassiker im Staudensortiment. Wenn Gräser „das Haar der Mutter Erde“ sind, wie der Gartenpoet es einst so schön formuliert hat, liegt sie mit Panicum auf jeden Fall voll im Trend. Mal trägt sie ihr „Haar“ stachomäßig aufrecht, mal weich überhängend. Farblich kann sie mit roten Spitzen, sonnengelben Strähnchen oder auch graublauen Zotteln immer wieder einen neuen Look kreieren. Diese enorme Vielseitigkeit wissen auch viele Gartenarchitekten und Planer zu schätzen. Beetkünstler wie Piet Oudolf, Peter Jahnke oder Petra Pelz, um nur einige zu nennen, verwenden die Rutenhirsen regelmäßig in ihren Planungen. Durch den aufrechten und kompakten Wuchs sind sie wunderbar als Gerüstbildner und Strukturgeber einsetzbar. Die zarten, locker aufgebauten Ähren erscheinen je nach Sorte ab Juli/August und wirken über den eleganten, schmalen Blättern wie ein Schwarm tanzender Mücken in der Abendsonne. Sie brechen die sonst so strenge Form des Grases auf und lassen es weicher und luftiger erscheinen. Als zusätzliches „Goodie“ schenken uns einige Sorten noch spektakuläre Herbstfarben in feuerrot, kupferfarben oder leuchtend gelb.
Eine unserer farbstärksten Sorten ist ‚Külsenmoor‘. Sie bildet zauberhafte, kupferrote Blattspitzen, die sich zum Herbst hin in ein leuchtendes Orangerot verwandeln und weithin gut zu sehen sind. Mit ihrem kompakten, trichterförmig aufgebauten Wuchs und nur etwa 80 cm Endhöhe ist sie ein perfekter Begleiter für niedrige bis halbhohe Staudenrabatten z.B. zwischen Sedum, Rudbeckia, Veronicastrum oder Perovskia.
Die mittlerweile wohl bekannteste Sorte 'Northwind', welche aus einer gleichnamigen Gärtnerei in den USA stammt, ist unter Gartenfans seit einigen Jahren in aller Munde. Sie ist ein Hunger- und Durstkünstler und kommt auch an Extremstandorten gut zurecht. Die festen, grünblauen Blätter sind äußerst robust und sehen auch spät im Jahr noch fantastisch aus. Zum Herbst hin färben sie sich leuchtend goldgelb. Sie strahlt die vornehme Eleganz des Adels aus und ist für mich daher die Kronprinzessin unter den Rutenhirsen.
Mit ihren 2,20 Meter ist Panicum virgatum 'Cloud Nine' eine der höchsten und imposantesten Sorten und wird besonders gerne als Wind- und Sichtschutz verwendet. Die wunderschönen, blaugrünen Horste polarisieren nicht nur als Solitärpflanzen, sie sind, auch als Hecke oder lebender Zaun gepflanzt, ein absolutes Highlight. Auf nicht zu nährstoffreichen Böden ist sie trotz ihrer Höhe sehr standfest. Die ab September erscheinenden Blütenripsen setzen dem Gras dann wortwörtlich noch die Krone auf und man ist fast versucht einen Hofknicks zu machen, angesichts dieser royalen Schönheit.
Eine meiner persönlichen Lieblinge ist die Sorte 'Heavy Metal'. Nicht nur des Namens wegen wollte ich diese recht standfeste und robuste Sorte unbedingt in meinem Garten haben. Die festen, blaugrünen Blätter besitzen einen leicht metallischen Schimmer, der dem straff aufrechtstehenden Gras eine ganz besondere Ausstrahlung verleiht. Bis zu 150 cm hoch kann sie werden, daher habe ich sie im hinteren Bereich des Gartens eingeplant. Und was soll ich sagen: 'Heavy Metal' rockt wie erwartet das Staudenbeet!
Die Bittere Rutenhirse, Panicum amarum, erfreut sich in den letzten Jahren immer größerer Beliebtheit. Sie ist eine typische Dünenpflanze aus Nordamerika, aber auch auf Kuba und den Bahamas beheimatet. Da sie sehr trockenheits- und salzverträglich ist, wird sie in den USA sowohl zur Dünenbefestigung, als auch zur Böschungsbegrünung von Highways eingesetzt. Die graublaue Auslese 'Dewey Blue' begeistert im Herbst mit einer herrlichen ockergelben Blattfärbung und wächst auch auf nährstoffarmen und sehr trockenen Flächen ausdauernd.
Panicum clandestinum, die den zungenbrechenden, deutschen Namen Hirschzungen-Rispenhirse (versuchen Sie das doch mal schnell auszusprechen…) trägt, ist ebenfalls ein fester Bestandteil im Staudensortiment geworden. Die frischgrünen, gesunden Blätter sehen auf den ersten Blick aus wie Bambus und hängen leicht bogig über. Sie wachsen bis auf eine Endhöhe von etwa 120 cm und färben sich zum Herbst hin leuchtend goldgelb. Wer nicht möchte, dass sich das Gras versamt, sollte die hübschen lockeren Ähren frühzeitig abschneiden.
Die Rutenhirsen wurden übrigens bereits vor einigen Jahren vom unabhängigen Arbeitskreis Staudensichtung auf ihre Gartenwürdigkeit hin geprüft. Hierzu wurden sie an verschiedenen klimatischen Standorten ausgepflanzt und vier Jahre lang getestet und bewertet. Kriterien wie Sortenechtheit, Gesundheit, Vitalität, Langlebigkeit und Attraktivität standen dabei im Vordergrund. Wen es interessiert, der kann die Ergebnisse dieser Sichtung im Internet unter www.staudensichtung.de nachlesen und seine eigene persönliche Lieblings-Rutenhirse kören. Da wir immer bemüht sind, unser Sortiment aktuell und vielseitig zu halten, werden wir im kommenden Jahr einige der Panicum-Neuheiten für Sie testen und die Besten dann ab 2021 in den Verkauf nehmen.
[Text Marion Hüning]