"Die Wolfsmilch" ist eine der wenigen Pflanzen, die ich bereits seit meiner Kindheit kenne. Die Warnung meiner Großmutter: "Lasst die Finger davon, das ist die Wolfsmilch, die ist gefährlich!", hatte auf mich eher eine romantisch-verklärende Wirkung, als dass sie mich abgeschreckt hätte. Insgeheim stellte ich mir vor, wie diese bizarr aussehende Pflanze mit dem gefährlichen Namen, kleinen Wolfswelpen das Überleben sicherte, Feinde jedoch mit ihrem giftigem Saft in die Flucht schlug und ich baute sie regelmäßig in meine Phantasiespiele mit ein. So begleitete mich die Wolfsmilch durch den größten Teil meiner Kindheit.
Ein Glück für mich, dass wir uns als Kinder ständig die Hände waschen mussten, denn der Pflanzensaft von Euphorbien ist tatsächlich leicht giftig und kann bei empfindlichen Menschen Reizungen und Allergien hervorrufen, vor allem darf er nicht in die Augen kommen. Man sollte das aber meiner Meinung nach nicht überbewerten, denn ich bin nun schon seit über 20 Jahren Staudengärtnerin und kenne niemanden, der von Euphorbien krank geworden ist. Im Gegenteil, denn seit einigen Jahren wird die Wolfsmilch auch als Komplexmittel in der Naturheilkunde eingesetzt. Nach neusten Erkenntnissen soll sie sogar in der Behandlung gegen Hautkrebs von Nutzen sein.
Der meist weißliche Milchsaft dient der Pflanze übrigens als Fraßschutz und Wundverschluss. Die fast 2000 Arten der Euphorbien zeigen eine größere Vielfalt an Wuchsformen als jede andere Pflanzengattung und wachsen auf allen Kontinenten mit Ausnahme der Arktis. Die meisten von ihnen haben sukkulente (wasserspeichernde) Eigenschaften und besitzen kleine unscheinbare Blüten, Cyathien genannt, die zwischen mehr oder weniger großen und auffällig gefärbten Hochblättern sitzen. Diese Hoch- oder Vorblätter sind es auch, die in den herrlichsten Farben Insekten zur Bestäubung anlocken, mal in gelbgrün, mal feuerrot oder auch knallorange. Und das sogar über einen langen Zeitraum hinweg, wenn manch andere Blüte im Beet bereits schlapp gemacht hat. Und so manch verzweifelter Gartenbesitzer wird jubeln, wenn ich einen weiteren Vorteil der Wolfsmilchgewächse ins Spiel bringe, nämlich die absolute Schneckenresistenz aller Euphorbien! Das sollten Gründe genug sein, um sich mit dem vielfältigen Angebot der Euphorbien einmal näher zu befassen.
Beginnen wir mit der oben bereits erwähnten Wolfsmilch aus dem Garten meiner Großmutter, der Euphorbia lathyris (Kreuzblättrige Wolfsmilch).
Diese meist zweijährige immergrüne Pflanze thronte dort inmitten der Gemüsebeete und sollte laut meiner Oma die Wühlmäuse und Maulwürfe vertreiben.
Ich persönlich hatte allerdings immer das Gefühl, dass das wohl eher ein frommer Wunsch war und die kleinen Nager sich heimlich ins Fäustchen
gelacht haben. Nichts destotrotz ist dieser sympathische Vagabund nach wie vor ein hübscher Beetbegleiter.
Eine sehr schöne Art ist die Euphorbia amygdaloides mit ihren interessanten Sorten, wie zum Beispiel 'Purpurea' mit einem rötlichen Blatt oder die
dunkle Schönheit 'Black Bird', mit ihren spektakulären fast schwarzen Blättern, welche sich auch auf einer extensiven Dachbegrünung hervorragend
in Szene setzen, dort allerdings Winterschutz benötigen. Alle Euphorbia amyglaloides-Arten sind immergün und lieben einen trockenen, halbschattigen
Standort. Auf Kahlfröste reagieren sie jedoch manchmal etwas verschnupft, daher sollte man sie rechtzeitig mit etwas Reisig oder Laub einpacken.
Meine persönlichen Highlights im Staudensortiment sind die Euphorbia characias-Sorten, sie lassen sich durch ihre spektakulären Blatt und Blütenfarben
hervorragend mit vielen anderen Stauden kombinieren.
Eine hübsche Sorte ist 'Blue Wonder'. Ihre großen Hochblätter leuchten hellgrün mit einem auffälligen dunklen Mittelfleck. Mit ihren blaugrünen Blättern ist sie ein echter Hingucker. 'Emmer Geen' fällt durch die weiß-grünen Blätter ins Auge, ihre gelbgrünen Hochblätter runden das Ganze perfekt ab. Sie soll auch eine der am wenigsten anfälligen panaschierten Sorten sein. 'Purple and Gold' erfreut uns mit sehr leuchtend gelben Blüten und grün bis purpurroten Blättern. Ganz besonders verliebt habe ich mich in die Euphorbia characias ssp. wulfenii. Sie wird bis zu 1,20 m hoch, wächst buschig und gibt mit Ihren gräulichen Blättern und dem kakteenähnlichen Aussehen unseren mitteleuropäischen Gärten einen solch rassigen, südländischen Touch, wie es sonst nur Palmen und Bananenstauden vermögen. Sie braucht etwas Platz, da sie recht ausladend werden kann und einen trockenen, sonnigen Standort. Leider ist sie in kalten Wintern ebenfalls eine kleine Diva und braucht daher einen geschützten Standort. Euphorbia martinii, eine relativ neue Kreuzung aus Euphorbia amygdaloides und Euphorbia characias, vereint die Vorteile beider Sorten in sich. Sie ist dank ihrer Gene unglaublich anpassungsfähig und kann sowohl Sonne als auch Schatten vertragen. Eine kompakte hübsche Sorte ist 'Baby Charm', sie wird nur 30 cm hoch und füllt perfekt kleine Lücken im vorderen Bereich des Staudenbeetes.
Eine der wohl auffälligsten Arten ist die Euphorbia griffiti 'Fireglow'. Ihre charakteristischen dunkel graugrünen Blätter haben eine deutliche rosa Mittelrispe. Im Mai bis Juli erscheinen die knalligen orangefarbenen bis roten Cyathien und tauchen das sonnendurchflutete Beet in ein wahres Feuermeer. Sie bevorzugt einen frischen nährstoffreichen Boden und bleibt bei einem regelmäßigen Rückschnitt im Spätherbst über Jahre attraktiv. Man sollte allerdings bedenken, dass sie leicht ausläufertreibend ist. Wenn man die Herren Stade nach ihrer Lieblingssorte befragt, kommt wie aus einem Munde Euphorbia seguieriana ssp. niciciana (Nizza-Wolfsmilch) als Antwort. Kaum eine andere Euphorbia-Art kann mit ihr mithalten, wenn es um Anpassungsfähigkeit, Winterhärte und Vielseitigkeit geht. Die etwa 60 cm hoch werdende, nicht wuchernde Nizza-Wolfsmilch glänzt im Staudenbeet, im Steingarten, im Kübel, auf einer extensiv genutzten Dachfläche oder auch mal im Splittbeet im Kreisverkehr an einer vielbefahrenen Straße. Ihre leuchtend grünlich-gelben Hochblätter strahlen von Juli bis Oktober über den feinen blaugrünen Blättern und da sie keinen Rückschnitt benötigt, ist sie den ganzen Winter über eine Zierde.
Einen großen Bekanntheitsgrad hat mittlerweile die Euphorbia polychroma (Gold-Wolfsmilch). Sie wird etwa 30-40 cm hoch und bildet auf fruchtbaren
Böden eine hübsche grüne Kuppel. Besonders gut wirkt sie in Gruppen gepflanzt, dann lässt sie mit ihren gelben Hochblättern das Beet im
April bis Mai golden erstrahlen. Ein phantastisches Farbspiel bietet uns die Sorte 'Bonfire' mit ihrer spektakulären Herbstfärbung. Sie bleibt deutlich
kompakter als ihre Verwandte und färbt ihre Blätter von dunklem Grün bis zu einem peppigen Dunkelrot, das alle Blicke auf sich zieht. Mit einem kräftigen
Rückschnitt nach der Blüte erhält man einen wunderbar dichten Bodendecker für sonnige, trockene Ecken im Garten. Für den Liebhaber von
Steingartenstauden ist die Euphorbia myrsinitis (Walzenwolfsmilch) die richtige Wahl. Sie verleiht dem Steingarten einen exotischen Aspekt durch
ihre silbergrauen immergrünen Triebe, welche später zum Teil spiralförmig herabhängen und zur Blütezeit im Frühjahr mit gelbgrünen Hochblättern
aufwarten. Last but not least möchte ich noch die Euphorbia palustris (Sumpf-Wolfsmilch) erwähnen, welche eigentlich in den Bereich Wasserpflanzen
bzw. Teichrand gehört. Sie ist aber auch an feuchteren Stellen im Garten durchaus glücklich und fällt durch ihren kräftigen Wuchs und ihre wunderbare
Leuchtkraft im Mai bis Juni positiv auf.
Und es gibt noch so viel mehr zu entdecken in der spannenden Welt der Wolfsmilchgewächse. Euphorbien sind meist unterschätzt, manchmal spektakulär,
oft faszinierend, aber immer eine wertvolle Bereicherung für jeden Garten. Vergliche man das Staudenbeet mit einem Orchester wären die
Euphorbien wohl die Begleitinstrumente, je nach Art mal lauter und mal leiser in ihrem Auftreten. Sie sind zwar nicht immer die Stars, aber wichtige
Mitglieder des Ensembles, die durch ihre Vielfalt an Farben und Formen den perfekten Hintergrund und Kontrast für die anderen Blüten liefern.
[Text Marion Hüning]